meyerhold unltd.

whispering bones

rta-Klima-Wind-Kanal, 18.11.2005, 19.11.2005, 20 uhr

whispering bones

theaterinstallation zum gedenkjahr 2005

 

Offener Brief der AutorInnen

Aufführungsverbot wegen Herabwürdigung der Wiener U-Bahn? - Ein nächster Zensurfall im "Gedankenjahr"? Ein gefördertes Theaterprojekt mit
zeitgenössischen Wiener Autoren kann wegen eines plötzlichen Gesinnungswandels der "Wiener Linien" nicht mehr am ursprünglich
vereinbarten Aufführungsort gespielt werden.

Offener Brief, Wien, 10.11.2005

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Michael Häupl! Sehr geehrter Herr
Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny!

Soeben haben wir erfahren, daß die "Wiener Linien" der freien Theatergruppe "Meyerhold unltd." nach anfänglicher mündlicher Zusage nun
plötzlich den (von Vertretern der "Wiener Linien" der Theatergruppe auf Anfrage selbst vorgeschlagenen) Aufführungsraum, den Revisionsgang der
U3-Station Neubaugasse, absagen. Die für die drei Tage vom 24.26.11.2005 dort geplante Aufführung muß ins Wasser fallen, ohne daß man es von Seiten
der "Wiener Linien" für wert erachtete, die plötzliche Absage zu begründen - aus unserer Sicht nicht eben eine demokratische Vorgehensweise. Zudem
erfolgt die Absage zu einem Zeitpunkt, an dem bereits Geld und Arbeitskraft für das Vorhaben investiert wurden und ein Ersatzraum
kurzfristig nicht mehr zu finden und anzumieten ist. Die Bitte um Hilfe bei der Schadensbegrenzung von seiten "Meyerhold unltd." wurde von den
"Wiener Linien" abgelehnt.

Es handelt sich um ein Theaterprojekt, das auf den Originaltexten von u.a.fünf unserer Mitglieder, Bodo Hell, Peter Pessl, Birgit Schwaner, Lisa
Spalt, Christian Steinbacher, alle anerkannte heimische Autor/inn/en, beruht. Das ganze Projekt, eine Theaterinstallation aus sieben
Originaltexten namens "Whispering Bones" (weitere Autoren: Margareth Obexer, Berlin, Ulf Stolterfoht, Berlin), wurde von der Stadt Wien und vom
Staat Österreich gefördert und stellt mit seinem von Beginn an bekannten Thema - der Entstehung von Verschwörungstheorien anhand der Frage nach dem
Verbleib von Hitlers Schädel - auch einen Beitrag zur zeitgenössischen Aufarbeitung des Einflusses totalitärer Ideologien wie des
Nationalsozialismus bzw. Faschismus auf unsere Gegenwart dar. Als literarisch-politisches Sujet wäre "Whispering Bones" somit einem
"Gedankenjahr" durchaus angemessen.

Das Stückmotiv "Verschwörungstheorien" sollte in seiner theatralen Umsetzung idealerweise unterirdisch Platz finden, in einem fensterlosen
Raum - weshalb der U-Bahn-Gang, in dem bereits 2004 eine Veranstaltung der "Wiener Festwochen" stattfand, bestens geeignet schien. Da sich auch
sicherheitspolizeilich zunächst keine Bedenken zeigten, müssen wir annehmen, daß der Bruch der mündlichen Zusage seitens der "Wiener Linien"
inhaltliche und thematische Gründe hat - zumal im Gespräch mit der Regisseurin die Bemerkung fiel, daß das Stück die U-Bahn "herabwürdige",
was den "Kunden" der U-Bahn nicht "zuzumuten" sei.

Wir wissen nicht, ob sich die Verantwortlichen der "Wiener Linien" nun tatsächlich mit den Texten unserer Mitglieder auseinandergesetzt haben und
an interpretatorischer Unerfahrenheit (oder anderen ästhetischen Vorlieben) scheiterten. Aber wir halten es für eine "Herabwürdigung", wenn
durch einen öffentlichen, städtischen Betrieb in einer Stadt, die sich ihrer Offenheit, Internationalität und kulturellen Vielfalt rühmt,
KünstlerInnen gegenüber wieder inhaltliche Zensur geübt werden soll.

In diesem Sinn erwarten wir von den "Wiener Linien" die Einhaltung ihrer Vereinbarungen, auch wenn sie ihnen aus irrationalen Gründen nicht
vorteilhaft scheinen, und bitten Sie hierbei um Unterstützung!

Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Ruiss

Ergeht weiters an die Medien, an die Kultursprecher/innen und zur
Kenntnisnahme an die Wiener Linien.

theaterverein meyerhold unltd.  grundsteing.44  a-1160 wien  +43-699-81727335